Deutschland darf seinen Weltmarktführer behalten: Die Aktionäre des Reisekonzerns TUI stimmten am Dienstag dem milliardenschweren Rettungspaket der Bundesregierung zu. Was in der Konzernführung um Vorstandschef Fritz Joussen für Erleichterung sorgte, löste in den Online-Foren Sarkasmus aus. Der Reiseriese mit dem freundlich lächelnden Logo hat in den sozialen Netzwerken auf einmal wenig Freunde.
„Hurra! Endlich keine Laptops für Schüler und Lehrer, kein Bonus für Pfleger, keine Hilfen für finanziell Schwache“, twitterte ein Nutzer: „Ein Reisekonzern wurde gerettet – damit die anderen schön in den Urlaub fliegen können.“
Ein anderer fand es gar „eklig“, dass Finanzminister Olaf Scholz „TUI und Lufthansa mit der Bazooka rettet, während der Gastronom um die Ecke noch immer auf die Auszahlung der Novemberhilfen wartet.“ Auch andere mochten nicht verstehen, warum „Flugreisen nach Teneriffa jetzt Staatsaufgabe sind“.
Schon im vergangenen Jahr hatten staatliche Darlehen für den Konzern über insgesamt rund drei Milliarden Euro scharfe Kritik ausgelöst. Dass die Steuergelder mit einer Verzinsung über neun Prozent gut angelegt sein könnten, spielte für viele keine Rolle: Warum müsse deutsches Steuergeld das Vermögen ausländischer Großaktionäre retten, allen voran das der russischen Oligarchen-Familie Mordaschow?
Linke und liberale Politiker hauten zuweilen in dieselbe Kerbe: TUI sei nicht systemrelevant, hieß es, das Geschäftsmodell ohnehin veraltet. Und um die Rettung von Arbeitsplätzen könne es bei einem Unternehmen, das weniger als 10.000 seiner 70.000 Mitarbeiter im Inland beschäftigt, ja auch nicht gehen.
Aus Sicht der TUI sind die Vorwürfe natürlich alles andere als fair. Zum Schutze der Bevölkerung vor der Corona-Pandemie hatte man das Geschäft fast ganz einstellen müssen – und jetzt sollte man noch nicht einmal staatliche Darlehen aufnehmen dürfen, selbst dann nicht, wenn sie mit hohen Zinsen zurückgezahlt werden?
Durch die Lockdowns, so Konzernchef Joussen vor den Aktionären, sei man „faktisch zu einem Unternehmen ohne Produkt und Umsatz geworden“. Im Winterquartal habe man einen Mittelabfluss von monatlich zwischen 400 und 450 Millionen Euro zu verzeichnen gehabt.
Die Grundsatzkritik am Geschäftsmodell hält Joussen für verfehlt – und verweist auf Zahlen. So sei die TUI jahrelang stetig gewachsen und brachte im Jahr vor der Pandemie 27 Millionen Menschen in den Urlaub. Im wichtigsten Buchungsmonat Januar, kurz vor Ausbruch der Pandemie, seien die Buchungszahlen sogar zweistellig gewachsen.
„Wir haben kein Geschäftsmodell von gestern“, erklärte Joussen mit Bestimmtheit auf der Hauptversammlung. Im Gegenteil: Als einer der wenigen „integrierten“ Reisekonzerne, der über einen eigenen Vertrieb, eigene Flugzeuge, Schiffe und Hotels verfüge, habe man während der Lockerung in den Sommermonaten 2020 das Geschäft schneller wieder aufnehmen können als die Wettbewerber.
„Bereits 36 Stunden nach Verkaufsstart im Juni waren die Flüge nach Mallorca ausgebucht“, erinnerte Joussen an das Zwischenhoch in der letzten Sommersaison. „Im Kreuzfahrtgeschäft hatten wir 40.000 Passagiere ohne einen einzigen Corona-Fall.“
Der Staatseinstieg bei TUI sei gerechtfertigt, weil das Unternehmen eine gute Aussicht auf erfolgreiche Fortführung habe, betonte der Konzernchef. Der Tourismus sei zuletzt deutlich stärker als die Gesamtwirtschaft gewachsen. Und dieser Trend werde sich mit dem Erfolg der Impfprogramme auch wieder einstellen, glaubt Joussen: Laut Umfragen sei Reisen die erste Priorität über alle Einkommensgruppen hinweg.
Die EU-Kommission sieht das offenbar ähnlich. Die von Deutschland angemeldete staatliche Beteiligung in Höhe von bis zu 1,25 Milliarden Euro sei „erforderlich, geeignet und angemessen“, erklärte die Brüsseler Behörde. Die Bundesregierung habe dies auch ausreichend nachgewiesen.
Boni sind gestrichen
Für den vom Steuerzahler getragenen Anteil an diesen Hilfen erhalte der Staat „eine hinreichende Vergütung“, erklärte die für Wettbewerb zuständige EU-Kommissionsvize Margrethe Vestager. Außerdem sei die Unterstützung an zahlreiche Auflagen geknüpft. Bis die staatliche Beteiligung zurückgefahren wird, darf der Konzern etwa keine anderen Unternehmen übernehmen.
Auch Dividenden werden nicht mehr ausgeschüttet, Boni und Sonderzahlungen für das Management sind gestrichen. Insgesamt ziele die Maßnahme darauf ab, „die vor der Pandemie-bedingten Ausnahmesituation bestehende finanzielle Lage und Liquidität von TUI wiederherzustellen“, erklärten die Brüsseler Wettbewerbshüter.
An dem nun genehmigten Rettungspaket beteiligt sich auch die Familie des russischen Oligarchen und Stahlunternehmers Alexej Mordaschow. Dessen Holding Unifirm, die bislang 24,9 Prozent an der TUI hielt, zeichnet die Kapitalerhöhung mit und könnte ihre Beteiligung auf bis zu 36 Prozent ausbauen. Dank einer Ausnahmegenehmigung der deutschen Finanzaufsichtsbehörde BaFin muss der Großaktionär den anderen Anteilseignern kein Übernahmeangebot machen, wenn er die 30-Prozent-Schwelle überschreitet.
Für die Finanzspritze aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) erhält die Bundesrepublik im Gegenzug Bezugsrechte, die einer 25,1-prozentigen Beteiligung an der TUI und damit einer Sperrminorität entsprechen. Dafür darf der Fonds zwei Vertreter in den Aufsichtsrat des Konzerns entsenden. Eine staatliche Einmischung ins operative Geschäft sieht der Rahmenvertrag aber nicht vor.
Nach dem Mittelzufluss aus dem inzwischen dritten Rettungspaket verfüge die TUI über liquide Mittel von 2,5 Milliarden Euro, erklärte der Konzernchef. Wie lange die Mittel bei einem „cash burn“ von zuletzt rund 65 Millionen Euro pro Woche vorhalten, hänge auch von der Entwicklung des Neugeschäfts ab.
Während Joussen betont, dass mit dem Beginn des Impfens „Licht am Ende des Tunnels“ aufscheine, dürften die neuen, scharfen Lockdown-Maßnahmen in wichtigen Quellmärkten wie Deutschland und Großbritannien die TUI-Rettung immer noch als Zitterpartie erscheinen lassen. Der Januar ist im Tourismus traditionell der wichtigste Buchungsmonat.